Juni 30

„Ich sollte eigentlich“ — wieso diese Botschaft so kontraproduktiv ist

Die Art, wie wir mit uns selbst sprechen, spiegelt unsere Einstellungen und Überzeugungen wider. Und nicht nur das: Botschaften wie „ich sollte (eigentlich)“ verstärken das Gefühl, a) unzureichend zu sein und b) Opfer zu sein.

Das Gefühl, Opfer zu sein, löst jedoch unbewusst eine Auflehnung aus („Eigentlich sollte ich, ABER ...“). Und das führt häufig zu Verzögerungstaktiken als Akt des Widerstands.

Anders ausgedrückt: Mit einer Selbstbotschaft wie „ich sollte (eigentlich)“ machen wir uns selbst zum Opfer. Das löst eine Auflehnung aus, die sich in vielen Fällen in Form von Aufschiebeverhalten äußert. Das Aufschieben wiederum führt dazu, dass wir uns weitere kontraproduktive Botschaften wie „ich muss“ oder „ich sollte“ sagen.

Gleichzeitig Gas geben und bremsen

Wenn wir uns selbst in einem autoritären Ton ansprechen, dann zeigen wir, dass wir uns unter Druck fühlen, etwas zu tun. Vordergründig ist das Druck von Außen, irgendjemand da draußen will was von uns. Dabei geht der Druck (auch) von uns aus. Gleichzeitig leistet ein Teil in uns Widerstand und verweigert das Tun.

Letztlich lautet die Botschaft, die im „ich sollte eigentlich“ steckt: „Ich habe keine Lust, es zu tun, aber ich muss mich dazu zwingen. Weil ‚xy‘ das von mir will bzw. weil sonst ... passiert.“

Durch den Druck und die Drohung („sonst passiert ...“) versuchen wir, uns dazu zu bewegen, das zu tun, was zu tun ist. Das ist aber keine wirkliche Motivation.

Das „ich sollte“ sagt auch, dass wir es nicht tun würden, wenn wir nicht müssten. Und dann kommt der innere Trotzkopf – und macht es einfach nicht.

Ehrlicher wäre es, zu sagen: „Ich will nicht.“ Dann müssten wir allerdings die Konsequenzen tragen.

In der Abwärtsspirale

Das „ich sollte“ erzeugt ein schlechtes Gewissen und das Gefühl der Unzulänglichkeit: Ich weiß, was zu tun ist, kriege es aber nicht hin. Weil ich zu (faul, unfähig, schwach, undiszipliniert, schlecht organisiert, ...) bin.

Dadurch aber rauben wir uns selbst die Energie – solche Botschaften ziehen uns immer tiefer runter. Bis wir schließlich tatsächlich nicht mehr in der Lage sind, zu entscheiden und zu handeln.

Aus der Opfer-Schleife aussteigen

Wir können aber auch lernen, diesen negativen Dialog zu beenden und durch einen konstruktiven zu ersetzen. Damit befreien wir uns aus der – letztlich selbst geschaffenen – Opferhaltung und sind dann in der Lage, uns zu entscheiden, ob wir WOLLEN, was wir zu SOLLEN glauben.

Das geht in vier Schritten:

  1. Weg mit der Moralkeule: Das „ich sollte eigentlich“ enthält eine moralische Botschaft, darin steckt eine Wertung – oder besser gesagt: Abwertung. Und mit dem „eigentlich“ sagst du im Grunde schon: „Ich mache es nicht. Jetzt nicht. Und später höchstwahrscheinlich auch nicht.“
  2. Klar und ohne Wertung formulieren: Ersetzt du das „ich sollte ... tun“ durch einen Satz wie „Jetzt steht ... auf dem Programm.“ oder „Jetzt ist ... zu tun.“ (ohne ein Muss oder Sollte), dann ist das eine wertfreie Aussage darüber, was gerade ansteht. Einfach eine Feststellung, ohne Druck und ohne moralischen Zeigefinger.
  3. Wahlmöglichkeiten ausloten: Damit ist klar, welche Aufgabe ansteht. Nun geht es darum, dir zuerst klarzumachen, dass du die Wahl hast. Und dann kannst du schauen: Welche Optionen habe ich überhaupt? Und welche Optionen gibt es noch? (siehe den nächsten Abschnitt).
  4. Eine Wahl treffen: Jetzt liegen die Möglichkeiten auf dem Tisch. Jetzt kannst du entscheiden: Tun? Nicht tun? Oder ganz anders?
Aufschieberitis

Wer sich entscheidet, ist kein Opfer mehr

Wichtig ist, sich immer wieder vor Augen zu halten: Ich habe eine Wahl.

Auch das Aufschieben ist ja eine Entscheidung: Ich mache es jetzt nicht. Wer etwas aufschiebt, steht allerdings nicht zu dieser Entscheidung und versucht, sich vor befürchteten Konsequenzen zu drücken. Und beides schwächt ihn.

Anders ist es, wenn ich eine klare Entscheidung treffe und bereit bin, die Folgen zu tragen. Damit trete ich aus der Opferrolle heraus. Dann kann ich mich der Aufgabe mit voller Kraft widmen (ich stehe ich nicht auf der Bremse, während ich auf das Gaspedal trete).

Die Entscheidung aktiviert den erwachsenen Anteil in mir, den, der Verantwortung übernimmt. Und das verleiht mir Energie.

In dem Moment, in dem ich mir zugestehe, eine Wahl zu haben, eröffnen sich mir unzählige Möglichkeiten:

  • Ich entscheide mich, es hier und jetzt zu tun.
  • Ich entscheide mich, es zum Zeitpunkt x zu tun. Oder wenn Bedingung y erfüllt ist.
  • Ich entscheide mich, es zu tun, obwohl ich keine Lust dazu habe. Ich will aber, dass es erledigt ist, also packe ich das jetzt an.
  • Ich entscheide mich, es nicht zu tun. Auch wenn das Konsequenzen hat, die ich gern vermeiden würde.
  • Ich entscheide mich, es zu tun, weil ich nicht bereit bin, die Konsequenzen des Nicht-Tuns zu tragen. Da ist es hilfreich, nicht zurück in die Opferrolle zu rutschen, sondern – ganz erwachsen – Für und Wider abzuwägen. Und dann kann das Ergebnis sein: „Ich entscheide mit fürs Tun, der Preis fürs Nicht-Tun ist mir zu hoch.“
  • Ich entscheide mich, von einer Aufgabe zurückzutreten, obwohl ich ursprünglich zugesagt habe, sie zu erledigen.
  • Ich bitte oder beauftrage jemand anderen, es zu tun.
  • Ich entscheide mich, jetzt noch keine Entscheidung zu treffen.
  • Ich entscheide mich ...

Manchmal habe ich vielleicht auch nur die Wahl zwischen zwei oder mehr schlechten Möglichkeiten. Aber auch da kann ich mir immer noch die am wenigsten schlechte heraussuchen.

Und wenn ich mich bewusst entscheide, die Aufgabe anzupacken, dann geht sie mir auch leichter und zügiger von der Hand. Wenn ich mich dagegen als Opfer sehe oder gegen innere Widerstände ankämpfe, dann wird es zäh und nervig. Da ist es doch weit besser, mich dafür zu entscheiden und mir die Aufgabe so angenehm wie möglich zu gestalten.

Probier‘ es aus

Wenn du dich das nächste Mal dabei ertappst, zu denken „eigentlich müsste ich ...“, dann:

  1. Halte inne, und freu dich, dass du dich bei diesem Gedanken ertappt hast. Denn jetzt kannst du aus dieser Schleife aussteigen.
  2. Formuliere ohne Wertung, was zu tun ist und bis wann.
  3. Halte dir vor Augen, dass du Wahlmöglichkeiten hast. Ich empfehle dir, in Ruhe alle Möglichkeiten aufzuschreiben, die du siehst. Und dann schreib auch noch die Möglichkeiten auf, die eh nicht in Frage kommen, weil ...
  4. Jetzt entscheide dich für eine der Möglichkeiten. Und formuliere das laut für dich: „Ich entscheide mich ...“
  5. Spür nach, wie sich das jetzt anfühlt. Und dann leg los (heißt: tu, wofür du dich entschieden hast).

Viel Erfolg dabei!


Bildnachweis:
Das Titelfoto stammt von Unsplash-Nutzer Quinn Buffing; das Foto im Text stammt von Jon Tyson (ebenfalls via Unsplash).


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